Rutschungen im Gürbetal
Das Gürbetal, gelegen 10 bis 20 Kilometer süd-südöstlich von Bern, wird von der namensgebenden Gürbe durchflossen und weist hohe Niederschläge auf. Es handelt sich seit jeher um ein Gebiet mit großen Hangrutschungsgefährdungen, die im oberen gebirgigen Teil auch oft mit Muren einhergehen. So sind die alpinen Böden recht locker aufgebaut, was in Kombination mit der Neigung der Talhänge zu bedeutenden Ereignissen führen kann. Im Extremfall stauen Hangrutschungen ganze Bäche auf, die sich dann zu Muren entwickeln, die dann anschließend bis an das Siedlungsgebiet reichen können. Diese treten vermehrt bei starker Schneeschmelze auf, da sich dann mehr Wasser ansammeln kann (Salvisberg, 2017). Im Februar 2024 wurde oberhalb von Wattenwil wieder eine größere Hangaktivität (Abb. 1) festgestellt, die bereits zu Evakuierungen geführt hat (Schweizerischer Rundfunk, 2024). Im Mai 2024 ging die Hangaktivität allerdings wieder zurück (Imboden, 2024). Doch wie laufen Rutschungen nun genau ab?
Abb. 1: Rutschung im Gürbetal (Quelle: Berner Zeitung 2024).
Rutschungen und ihre Dynamik
Gemäß Dikau et. al. (2019) bezeichnen Rutschungen hangabwärts verlaufende Bewegungen von festen und/oder lockeren Gesteinsschichten entlang einer Gleitfläche. Je nach Form und Geschwindigkeit der Rutschung, Tiefe der Gleitfläche und Wassergehalt können verschiedene Arten von Rutschungen unterschieden werden. Rutschungen sind in ihrer Erscheinungsform sehr vielfältig und laufen je nach Dominanz unterschiedlicher Faktoren unterschiedlich ab. Die zentralen Faktoren nach Grotzinger et. al. (2017: 463) sind die Hangneigung, die Zusammensetzung der Gesteine und der Böden des Hanges und dessen Wassergehalt. Demnach können Rutschungen grundlegend nur dann auftreten, wenn geneigte Hänge vorliegen. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU, o. J.) hat zur Beurteilung von Hangstabilitäten folgende Faktoren festgelegt: Boden und Gestein, Hangneigung, Wasserhaushalt, Erosion, Vegetation und menschliche Einflüsse.
Sobald die Scherfestigkeit und das „Zusammenhalten“ von Material durch die eben genannten Faktoren kleiner sind als die Schwerkraft, wird ein Hang destabilisiert und eine Rutschung kann die Folge sein. Häufige Auslöser für das Überschreiten dieses Schwellenwertes sind akute Stark- und Dauerregenereignisse, Schnee- und Permafrostschmelze oder durch Erdbeben ausgelöste Erschütterungen. Dies kann nach BAFU (o. J.) innerhalb weniger Sekunden mit hohen Geschwindigkeiten (mehrere Meter pro Sekunde bei spontanen Rutschungen und Hangmuren) oder auch permanent über längere Zeiträume ablaufen.
Arten von Rutschungen
Zur Klassifizierung der verschiedenen Arten von Rutschungen können unterschiedliche Faktoren herangezogen werden. Die gängigste dabei ist die nach der Form. Hierbei wird zwischen der sogenannten Translationsrutschung, bei der bereits eine feste Gleitfläche vorhanden ist, und der Rotationsrutschung, bei der Material aus dem Untergrund ausgehoben wird, unterschieden (Abb. 2). Weitere Einteilungen nach der Tiefe der Gleitfläche, der Rutschungsgeschwindigkeit und dem Wassergehalt erlauben ein tieferes Verständnis über die Dynamik von Rutschungen.
Abb. 2: Rotationsrutschung (links) und Translationsrutschung (rechts). Quelle: Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen – www.schutz-vor-naturgefahren.ch.
Bewertung und Schutzmaßnahmen
Bei der Bewertung von Hangrutschungen aber auch sonstigen Naturgefahren ist die Vulnerabilität (= Verletzlichkeit) ein zentraler Begriff (Ruff, 2005: 80-82). Demnach können unterschiedliche Auswirkungen in Klassen eingeteilt werden. Grundsätzlich lassen sich diese anhand von zwei Faktoren bestimmen: erstens das Ausmaß der Zerstörung sowie zweitens die Wichtigkeit der betroffenen Infrastrukturen. Eine Bewertung kann daher sowohl quantitativ (Messungen der Rutscheigenschaften) als auch qualitativ (Feststellung für Hangrutschungen typischer Merkmale) erfolgen (Marte, 2016: 550).
Im Bereich der Schutzmaßnahmen kann zwischen passiven und aktiven Unternehmungen unterschieden werden (Steinbrunner, 2019: 17; 68 - 73). Erste haben planerische Eigenschaften: sie teilen eine bestimmte Fläche (zum Beispiel eine Gemeinde) in Gefahrenzonen auf, in denen es verstärkt zu Naturgefahrprozessen kommen kann. Im Gegensatz dazu sind aktive Maßnahmen dazu da, technischen Schutz vor diesen Naturgefahren zu gewährleisten, sodass die Hangrutschungen ein bestimmtes Gebiet nicht treffen können/sollen. In diesem Zusammenhang wird ein Säulenmodell präsentiert, das zu planerischen und technisch-ökologischen Maßnahmen Wert auf die Öffentlichkeitsarbeit legt, indem die Gesellschaft von den Problemen informiert, dass sich Menschen nicht in den betroffenen Gebieten ansiedeln bzw. von dort wegziehen (Bräuer & Tuttas, 2010: 398).
Fazit
Der voranschreitende anthropogene Klimawandel vergrößert die Gefahr und Anzahl von extremen Naturgefahren wie Hangrutschungen, vor allem in einer sich rasch verändernden Umwelt. So ist die charakteristische Bewegung des Gleitens maßgeblich für Veränderungen des Landschaftsbilds, indem die Ereignisse von geomorphologischen, hydrologischen und geoökologischen Standortfaktoren beeinflusst werden. Dadurch entstehen aber auch wieder neue Eigenschaften. Eine ungünstige Kombination kann dazu führen, dass wie im Gürbetal Rutschungen auftreten und das auf unterschiedlichen Zeitskalen. Begrenzt aber doch ist es uns Menschen möglich, uns durch technische Maßnahmen zu schützen. Um sich ein genaueres Bild über die Einflüsse und Auswirkungen zu verschaffen, ist es ratsam, Hangrutschungen ansichtlich ihrer Art (Translations- oder Rotationsrutschung), ihrer Geschwindigkeit oder ihrer Gleitfläche zu bewerten. Dadurch kann die von ihnen ausgehende Gefahr besser eingeschätzt werden, was bei der Ausarbeitung von Schutzmaßnahmen nützlich sein kann. Besonders im Gürbetal sind solche Ereignisse auch noch in jüngster Vergangenheit vermehrt vorgekommen und schreiten mit wechselnden Geschwindigkeiten ständig voran. Damit aber das Risiko vermindert werden kann, ist eine intensive Forschung notwendig, um die ablaufenden Prozesse in der Natur genau zu verstehen und anschließend regional geeignete Schutzmaßnahmen ergreifen zu können.
Quellenverzeichnis
BAFU (Bundesamt für Umwelt, Schweizerische Eidgenossenschaft) (o. J.): Faktenblatt Gefahrenprozess Rutschungen. Eidgenössisches Department für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).
BAFU (Bundesamt für Umwelt, Schweizerische Eidgenossenschaft) (2023): Gefahrenprozesse und Gefahrengrundlagen. https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/naturgefahren/fachinfor-
mationen/naturgefahrensituation-und-raumnutzung/gefahrengrundlagen.html#:~:text=Zu%20den%20wichtigsten%20Gefahren%20z%C3%A4hlen,und%20k%C3%B6nnen%20ebenfalls%20h%C3%A4ufiger%20auftreten.
[16.05.2024]
Berner Zeitung (2024): „Wir kamen mit einem blauen Auge davon“. https://www.bernerzeitung.ch/erdrutsche-im-guerbetal-wir-kamen-mit-einem-blauen-auge-davon-743148121009 [12.08.2024]
Bräuer, Teresa; Tuttas, Sebastian (2010): Analyse und Management von regionaltypischen Naturgefahren am Beispiel einer Hangrutschung in Doren (Vorarlberg), in: Mitteilungen des Deutschen Vereins für Vermessungswesen (DVW), Nr. 3.
Dikau, R.; Eibisch, K.; Eichel, J.; Meßenzehl, K.; Schlummer-Held, M. (2019): Geomorphologie. Springer-
Verlag, Berlin.
Europäische Kommission (o. J.): Folgen des Klimawandels. https://climate.ec.europa.eu/climate-
change/consequences-climate-change_de [28.05.2024]
Grotzinger, J.; Jordan., T. (2017): Allgemeine Geologie. Springer-Verlag, Berlin.
Imboden, Marc (2024): Die Lage in der Gefahrenzone hat sich etwas entspannt: Der Krisenstab gibt eine «sanfte Entwarnung»: Die Erde in Wattenwil rutscht ein bisschen weniger schnell., in: Thuner
Tagblatt, [online] https://www.thunertagblatt.ch/hangrutsch-wattenwil-lage-hat-sich-etwas-ent-
spannt-688025987645.
Marte, Roman (2016): Einführung in die Thematik von (großen) Rutschungen mit dem Schwerpunkt der Zustands- und Sicherheitsbeurteilung, in: BHM. Berg- Und Hüttenmännische Monatshefte/Berg- Und Hüttenmännische Monatshefte, Bd. 161, Nr. 12, S. 544–552, [online]
doi:10.1007/s00501-016-0553-8.
Ruff, Michael et al. (2005): Gefährdungsanalyse für Hangbewegungen, in: Vorarlberger Naturschau, Nr. 18, S. 5–96.
Salvisberg, Melanie (2017): Der Hochwasserschutz an der Gürbe - Eine Herausforderung für Generationen (1855–2010), [online] doi:10.24894/978-3-7965-3684-7.
SRF (2024): Grosses Gebiet im Gürbetal rutscht so stark wie noch nie. https://www.srf.ch/news/schweiz/hang-in-bewegung-grosses-gebiet-im-guerbetal-rutscht-so-
stark-wie-noch-nie [16.05.2024].
Steinbrunner, Barbara (2019): Raumplanung im Umgang mit Naturgefahren – Baulandwidmungen und Bautätigkeiten im Zusammenhang mit technischen Schutzmaßnahmen im Bundesland Tirol. Diplomarbeit, Technische Universität Wien. Wien.
Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (o. J.): Rutschungen und Hangmuren. Grundlagen, Identitätsparameter zur Bemessung. https://www.schutz-vor-naturgefahren.ch/spezialist/naturgefah-
ren/rutschung.html [16.05.2024]
Kommentare
Kommentar veröffentlichen