Naturgefahren (Ereignisse/Umgang) und Risikomanagement (CH/LIE/AT)
Murgänge – Die »steinfressenden Ungeheuer«
Die Saison der »steinfressenden Ungeheuer« hat vor kurzem begonnen. Die wahrscheinlich beste Zeit einem »steinfressenden Ungeheuer« ins Gesicht zu schauen ist zwischen April und September (Hirschberg et al. 2021: 13).
Aber Vorsicht! Die Gefahr und die zerstörende Wirkung, die mit einem »steinfressenden Ungeheuer« einhergehen sind mitunter katastrophal. Darüber berichten Menschen schon seit vielen Jahrhunderten, die sich in seinem Einzugsgebiet niedergelassen haben (Coaz 1881: 103; Rickenmann et al. 2001: 4 f.; Graf et al. 2007: 121).
Am 28.06.2000 ist das »steinfressende Ungeheuer« in die Fotofalle der WSL (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft) besonders ausdruckstark geraten. Einen Beweis dafür liefert Abb. 1. In Abb. 2 ist ein schematischer Längsschnitt des vermeintlichen »steinfressenden Ungeheuers« dargestellt.
Abb. 1: Frontansicht eines Murgangs (alias »steinfressendes Ungeheuer«) am 28.06.2000. Quelle: Videofoto aus Rickenmann et al. (2001: 6).
➢ Spätestens jetzt wird klar, dass hier nicht von einem »steinfressenden Ungeheuer« berichtet wird, sondern von dem Naturereignis Murgang.
Was ist dann ein Murgang?
Ein Murgang zählt zu den schnellablaufenden gravitativen Massenbewegungen und ist eine spezielle Art des gravitativen Fließens (Dikau et al. 2019: 210). Genauer betrachtet ist ein Murgang ein breiartiges Materialgemisch, das aus grobkörnigem Sediment, organischem Material (z.B. Holz), Wasser und Luft besteht sowie ein viskoplastisches Fließverhalten aufweist und sich schubweise talabwärts bewegt (Varnes 1978: 18; Berger et al. 2012: 38; Dikau et al. 2019: 211).
Was sind die Zutaten für Murgänge und wie werden Murgänge ausgelöst?
Die Grundzutaten (Voraussetzungen) sind: lockeres, mobilisierbares Gesteinsmaterial grob und fein, steile Hänge oder Gerinnebetten mit einem Gefälle von ca. 25 – 30 % (entspricht 14,0° – 16,7°), spärliche Vegetation und Wasser (Costa 1984: 269; Rickenmann 2014: 53).
Mögliche Auslösefaktoren sind u.a.: starke und intensive Niederschläge, rasche Schneeschmelze, Ausmaß der Bodendurchfeuchtung, Erdrutschungen, Steinschläge (Costa 1984: 270 f.; Rickenmann 2014: 55).
Hier geht es zum Exkursionstagebuch.
Quellennachweis
Berger, C.; McArdell, B. W. & Lauber, G. (2012): Murgangmodellierung im Illgraben, Schweiz, mit dem numerischen 2D-Modell RAMMS. Murgangmodellierung in der Praxis. Conference Proceedings of the 12th Congress Interpraevent 2012 – Grenoble, France.
Coaz, J. (1881): Der Illgraben gegenüber Leuk im Wallis. Vorgetragen in der Sitzung vom 15. Januar 1881. Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft Bern Heft 1: 1-111. https://doi.org/10.5169/seals-318957.
Costa, J. E. (1984), Physical geomorphology of debris flows. In: Costa, J. E. & Fleisher, P. J.: Developments and Applications of Geomorphology. Springer, Berlin: 268-317.
Dikau, R.; Eibisch, K.; Eichel, J.; Meßenzehl, K. & Schlummer-Held, M. (2019): Geomorphologie. Springer Spektrum, Berlin.
Graf, C.; Badoux, A.; Dufour, F.; Fritschi, B.; McArdell, B. W.; Rhyner, J.; Kuntner, R.; Teysseire, P. & Nigg, U. (2007): Alarmsystem für murgangfähige Wildbäche - Beispiel Illgraben. Wasser, Energie, Luft 99 (2) Baden, Schweiz: 119-128. https://doi.org/10.5169/seals-940122.
Hirschberg, J.; Fatichi, S.; Bennett, G. L.; McArdell, B. W.; Peleg, N. Lane, S. N., Schlunegger, F. & Molnar, P. (2021): Climate change impacts on sediment yield and debris-flow activity in an Alpine catchment. Journal of Geophysical Research: Earth Surface, 126: 1-26. https://doi.org/10.1029/2020JF005739.
Hübl, J.; Bunza, G.; Hafner, K. & Klaus, W. (2003): ETAlp – Erosion, Transport in Alpinen Systemen. „Stummer Zeugen Katalog“, Version 12/03.
Pierson, T. C. (1986): Flow behavior of channelized debris flows, Mount St. Helens, Washington. In: Abrahams A.D. (Hrsg.): Hillslope Processes. Allen and Unwin, Boston: 269–296.
Rickenmann, D. (2014): Methoden zur quantitativen Beurteilung von Gerinneprozessen in Wildbächen. WSL Berichte Heft 9.
Rickenmann, D.; Hürlimann, M.; Graf, C.; Näf, D. & Weber, D. (2001): Murgang-Beobachtungsstationen in der Schweiz. Wasser, Energie, Luft 93 (1/2) Baden, Schweiz: 1-8. https://doi.org/10.5169/seals-939854.
Varnes, D. J. (1978): Slope movement types and processes. In: Schuster, R. L. & Krizek, R. J. (Hrsg.): Special Report 176: Landslides: – Analysis and Control. Transportation Research Board. National Academy of Sciences, Washington, D.C.: 11-33
Kommentare
Kommentar veröffentlichen